Ein neuer Wind bei Theologisches
Mein Amtsantritt verlief nicht ganz reibungslos. Im Juli 2003 schrieb mir mein Vorgänger: »Ich bin nicht nur der selbständige Redakteur und eigenständige Herausgeber der Zeitschrift gewesen, sondern bin nach wie vor der Inhaber als rechtmäßiger Nachfolger von Prof. Bökmann.« Das heißt, die Zeitschrift hatte auf einmal theoretisch zwei Herausgeber. So ging in der Fördergemeinschaft die Angst um, Lange könnte von seinen alten Rechten irgendwie Gebrauch machen. Dies besonders deshalb, weil es von Seiten der »Initiativkreise katholischer Laien und Priester«, einem eng mit den »Dienern Jesu und Mariens« zusammenarbeitenden Netzwerk, das im Bistum Augsburg sein Zentrum hat, deutliche Begehrlichkeiten gegeben hatte, die Zeitschrift mit Hilfe Langes über Umwege in die Zuständigkeit des eigenen Vereins zu bringen. Folglich beschloss man, »über einen Düsseldorfer Rechtsanwalt«, wie es im Geschäftsbericht des Jahres 2003 etwas verschleiernd heißt, den Markenschutz für die Zeitschrift zu erwirken, was eine Unmenge an Spendengeldern verschlang und, wie sich nachher herausstellte, völlig unsinnig war, da niemand den Versuch unternahm, den Namen der Zeitschrift für sich zu vereinnahmen.
Diese Vorgänge verweisen auf ein allgemeines Problem des konservativen Katholizismus: Die vielen kleineren, aber sehr aktiven Gruppen innerhalb des Milieus bemühen sich jede für sich um möglichst viel Einfluss innerhalb der Szene, um möglichst viele Spendengelder und um die Deutungshoheit über kirchenpolitische Vorgänge. Zu einer Zeit, als das Internet erst anfing, eine wichtige Rolle zu spielen, war es noch entscheidend, wer am Steuer der bedeutendsten theologischen Zeitschrift erzkatholischer Ausprägung saß.
Man bat mich, ein freundliches Editorial für die neue Nummer abzufassen, dem Monsignore darin herzlich zu danken und seinen angegriffenen Gesundheitszustand als Grund für seine Abdankung zu nennen. Von dem mehr oder weniger unfreiwilligen Rücktritt sollten die Leser möglichst nichts erfahren. Um deren Spendenfreudigkeit nicht zu gefährden und den Ruf der Zeitschrift und ihrer Mitarbeiter zu bewahren, musste unbedingt der Schein einer geordneten Übernahme aufrechterhalten werden.
Auch dies ist für die katholische Kirche ein ganz gewöhnlicher Vorgang: Will man oder muss man jemanden aus den eigenen Reihen loswerden, weil beispielsweise besonders schwerwiegende Fehler in der Öffentlichkeit bekannt geworden sind, so wird dessen Entlassung meist verschleiernd mit »gesundheitlichen Problemen«, einer Beförderung oder dem »Rückzug in ein Leben des Gebetes« erklärt.
Nur wenn sich der Betreffende stur stellt, wie etwa im Fall von Bischof Mixa, fährt man härtere Geschütze auf bzw. droht damit, diese aus dem reichen Archivmaterial hervorzukramen. So erklärte der Pressesprecher des Erzbistums München im Juni 2010 zu Mixas Rücknahme seines Rücktrittsangebotes, man sehe zu dessen eigenem Schutz davon ab, weitere Details, die ihn belasten würden, zu publizieren. Der dann folgende Hinweis auf seinen Rückzug »aus gesundheitlichen Gründen« wurde schon fast demagogisch verstärkt: »Wir wünschen ihm gute Besserung. Sein Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik war ein wichtiger erster Schritt.« [37]
Zeitgleich mit der Verabschiedung Langes und der Übergabe der Herausgeberschaft an mich hatte die Fördergemeinschaft neue Mitglieder aufgenommen. Diese entstammten dem Netzwerk der Düsseldorfer Herrenabende. Die Herren hatten alle keinerlei Ahnung von Philosophie und Theologie, waren aber (kirchen-)politisch sehr engagiert. Einer von ihnen, der gleich ein Amt innerhalb der Fördergemeinschaft übernahm, las gern Heftchen, die von einem Sedisvakantisten-Verlag herausgegeben wurden und alle möglichen Verschwörungstheorien verbreiteten. Als seine inoffizielle Beraterin fungierte die Leiterin des evangelikalen und rechtskatholischen Gruppen nahestehenden Komm-Mit-Verlags, Felizitas Küble. Dieses Neumitglied war fest davon überzeugt, dass innerhalb der katholischen Kirche eine Verschwörung »gruppendynamischer Wühlarbeit« zugange sei, die den Priestern und Nonnen wider alle Realität einrede, dass sie sexuelle Bedürfnisse hätten. Mit »gruppendynamischer Wühlarbeit« meinte er offenbar moderne Methoden der Pastoralpsychologie, mit deren Hilfe sich Geistliche und Ordensschwestern ihrer Identität
- auch in geschlechtlicher Hinsicht - im Sinne eines Reifungsprozesses stärker bewusst werden sollen. Ziel dieser Methoden ist genau das Gegenteil des Unmündighaltens, wie es in traditionellen Priesterseminaren praktiziert wird.
Dies alles habe, so dieser Netzwerker in einem Brief an die Mitglieder der Fördergemeinschaft, das Ziel, die Klöster aufzulösen und die Kirche in die »Synagoge Satans« zu verwandeln. Diese Wortwahl hätte mich stutzig machen können, sie fiel mir in ihrer ganzen Problematik aber erst einige Jahre später auf, als ich mit einem jüdischen Freund über antisemitische Sprachgewohnheiten in der katholischen Kirche diskutierte. Dabei erfuhr ich, dass die Wendung »Synagoge Satans« eine lange Tradition hat. Schon bei den Kirchenvätern der Antike herrschte bekanntlich häufig ein krasser Antijudaismus.
Wir kommen nicht umhin festzustellen, dass sich der unter Traditionalisten verbreitete Antisemitismus inzwischen nicht mehr nur auf eine Randgruppe innerhalb der katholischen Kirche beschränkt, sondern unter dem gegenwärtigen Pontifikat eines aus Deutschland stammenden Papstes zunehmend in die Gesamtkirche einsickert. Ein besonders deutliches Anzeichen dafür ist die Wiederbelebung der Karfreitagsfürbitte »für die perfiden Juden« im Jahr 2007, die mit der durch Benedikt XVI. erfolgten Aufwertung und großzügigen fakultativen Wiedereinführung der alten Liturgie einherging. Der Text der Fürbitte ist schon insofern brisant, als es im Mittelalter im Anschluss an dieses Gebet nicht selten zu Judenmorden durch fanatische Christen kam, die ebenfalls die Angst vor der »Synagoge Satans« umtrieb. Auch wenn der traditionelle Text nach ersten Protesten aus dem Judentum leicht abgemildert wurde - das Wort »perfide« wurde gestrichen -, bleibt das Gebet für die Bekehrung der Juden bestehen.
Der Leiter der Kölnischen Gesellschaft für jüdischchristliche Zusammenarbeit, Günther Bernd Ginzel, hat darauf hingewiesen, was weitgehender Konsens bei vielen jüdischen und christlichen Gelehrten ist: dass durch die Logik des Gebetstextes der seit 1965 geltende katholische Konsens verlassen wird, nach dem die Juden als Volk Gottes auch von den Christen zu achten sind und eine Judenmission deshalb zu unterbleiben hat.
Charlotte Knobloch, die Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, erklärte am 21. März 2008, der katholisch-jüdische Dialog sei bis zur Rücknahme des Gebetstextes auszusetzen. Bis zur Stunde ist diese Rücknahme nicht erfolgt und bildet zusammen mit der Rehabilitation des Holocaustleugners Williamson ein fatales Signal der Bestätigung für rechtsradikale und antisemitische Gruppen innerhalb der katholischen Kirche.
Die Veränderung des Wortlauts hat auch keineswegs zu einem Umdenken bei der Piusbruderschaft geführt. Dort sieht man in der leichten Abmilderung des Textes eine Abkehr von der ewigen Wahrheit und betet weiter »für die perfiden Juden« und dass Gott »die Verblendung jenes Volkes« aufheben möge. Sie halten auch an dem eindeutig antijudaistisch motivierten Befehl aus dem Mittelalter fest, der lautet: »Hier unterlässt der Diakon die Aufforderung zur Kniebeugung, um nicht das Andenken an die Schmach zu erneuern, mit der die Juden um diese Stunde den Heiland durch Kniebeugungen verhöhnten.« [38]
Der in der Wendung »Synagoge Satans« mitschwingende Antijudaismus war also keine partikuläre Laune des Förderers der Zeitschrift. Überhaupt sollte ich durch die neue Zusammensetzung der Fördergemeinschaft in eine bestimmte Richtung gelenkt werden. Entgegen dem Versprechen voller redaktioneller Freiheit wurden regelmäßige Treffen mit den Mitgliedern der Fördergemeinschaft beim Veranstalter der Herrenabende in Düsseldorf angesetzt, bei denen besonders die genannten neuen Mitglieder ihre »beratende Tätigkeit« energisch wahrnahmen. Dazu gehörte, dass genau registriert wurde, was ich wann und wo publizierte. Selbst die entlegensten Veröffentlichungen, etwa biographisch-bibliographische Lexikonartikel, entgingen den aufmerksamen Blicken der Aufseher(innen) des Netzwerkes nicht. Das Gefühl, überwacht zu werden, wie es auch in der Priesterausbildung geschürt wird, sollte mich wohl auf Linie halten.
Meine Absicht, Theologisches erneut ein Niveau zu geben, mit dem die Zeitschrift auch im Bereich der Wissenschaft wieder wahrgenommen würde, stieß bei einigen der Nichttheologen in der Fördergemeinschaft auf wenig Gegenliebe. Auch Autoren, deren Artikel im Zuge dieser Umorientierung keinen Platz mehr in Theologisches fanden, begannen zu revoltieren, indem sie fortwährend Protestschreiben an alle Welt verschickten, in denen sie sich über mich beschwerten. Das ging so weit, dass eine der untragbar gewordenen Autorinnen bei einem Mitglied meiner Familie in der Sache vorsprach und ihm Vorwürfe wegen meiner angeblich schlechten Erziehung machte.
Immer wieder bekam ich zu hören, die Zeitschrift sei unlesbar geworden, die vielen Fußnoten und fremdsprachigen Zitate würden die Leser vergraulen. Niemand habe Lust und Zeit, sich über mehrere Seiten mit theologischen Theorien und Kontroversen oder mit Theologiegeschichte zu beschäftigen. Dabei war das Gegenteil der Fall. Durch die Anhebung des Niveaus stießen ganz neue, vor allem auch jüngere Lesergruppen zu der Zeitschrift. Unter den Neuabonnenten waren außerdem einige Universitätsbibliotheken bzw. theologische Fakultätsbibliotheken, und der allseits anerkannte Zeitschrifteninformationsdienst der Universitätsbibliothek Tübingen nahm Theologisches in sein Programm auf. Dadurch war sichergestellt, dass die erschienenen Beiträge auch von Lesern wahrgenommen wurden, die dem erzkatholischen Milieu fernstanden. Aber die waren offensichtlich gar nicht so wichtig; man hatte sich so gut in seinem rechtskatholischen Ghetto eingerichtet, dass der Dialog mit Andersdenkenden keine große Bedeutung hatte.
Noch schwerer im Magen lag einigen Entscheidungsträgern und Mitarbeitern der Zeitschrift allerdings der langsame programmatische Umbau, mit dem ich vorsichtig begann. Unter meinen beiden Vorgängern waren - wie bereits erwähnt - politische Artikel mit mehr oder weniger klar erkennbarem rechtsradikalem Hintergrund in die Zeitschrift aufgenommen worden. Diese Unsitte stellte ich mit Übernahme der Zeitschrift sofort ein. Zwar dachte ich zu der Zeit nicht eben liberal, aber die Rechtsradikalen missbilligte ich schon allein wegen ihrer Vorurteile gegenüber gesellschaftlichen Randgruppen, eben auch Homosexuellen. Im Vordergrund meiner Entscheidung stand jedoch, dass mir die Vermischung von Politik und Religion zutiefst widerstrebte. Der katholische Glaube und die diesen mit der Vernunft durchdringende Theologie waren mir zu schade, um sie für ein politisches Anliegen zu instrumentalisieren und dadurch das Ewige zur Dienstmagd des Zeitlichen und Profanen zu machen. Ich fürchtete, dass dadurch das von mir damals angestrebte Ziel der Förderung einer traditionellen Theologie in Misskredit gebracht werden könnte. Die bisher in der Zeitschrift vertretene rechte Theologie war auch nicht besser als die von den konservativen Katholiken bekämpfte linke Befreiungstheologie, die sich allzu oft zum Büttel des Kommunismus hatte machen lassen.
Die meisten Theologen innerhalb der Fördergemeinschaft standen in dieser Sache weitgehend hinter mir. Im Unterschied zu den Nicht-Theologen im Förderkreis. So wirkte das Gesicht des Gastgebers der Herrenabende und der informellen Zusammenkünfte von Mal zu Mal verbitterter, wenn er mich sah. In Gesprächen mit Leuten aus dem Umfeld von Theologisches wurde dann auch vorsichtig angedeutet, ich hätte die Herausgabe der Zeitschrift übernommen, um meine Karriere zu befördern, und nähme dabei keine Rücksicht auf die Interessen der Leser. Spätestens ab dem Zeitpunkt war mir aufgrund ähnlicher Vorfälle in der Kirche klar, dass innerhalb des Netzwerks ein interner, noch verdeckter Kampf gegen mich begonnen hatte und man sich daranmachte, Informationen über mich zu sammeln, um sie bei Gelegenheit auszupacken.